Ressourcenorientierung und schwierige Themen

Ressourcenorientierung und schwierige Themen

In der Idiolektik sind wir bestrebt, immer wieder ressourcenvolle Inhalte aufzugreifen. „Aber man muss doch auch über die Probleme reden können!“, wird dem dann oft entgegengehalten. Grund genug, einige Gedanken zu diesem Thema niederzuschreiben. Dabei kommen wir nicht umhin, auch das Thema „Erinnerung“ zu streifen, wobei wir der Komplexität des Themas nicht gerecht werden können und es bei einem Anstreifen bleiben wird.

Meine Erinnerungen sind stets als ganze Netzwerke gespeichert, deren einzelne Fäden mir nicht bewusst sind. In der Neurowissenshaft gibt es den netten Satz „Neurons that fire together, wire together“, auch als „Hebbsches Gesetz“ bekannt: Neuronen, die gleichzeitig aktiviert werden, vernetzen sich miteinander. Und diese Vernetzung sorgt dafür, dass beim Aktivieren eines Neurons auch sämtliche damit vernetzten Neuronen aktiviert werden.

Wieso ist dies wichtig, bzw. was hat das mit dem Thema zu tun? Nehmen wir mal ein sehr vereinfachtes Beispiel: Ich bin auf dem Weg zum Bäcker. Ich rieche schon den vertrauten Duft frischen Brotes, es nieselt leicht. Vor mit geht eine Mann mit bunten Gummistiefeln. Kurv bevor ich den Laden betreten kann, geht ein Kunde aus dem Geschäft, ich höre die altmodische Ladentür bimmeln. Und in dem Moment fährt ein Auto aus der neben dem Bäcker liegenden Hausausfahrt und rammt mich. Es ist nicht Wildes passiert, eine Verstauchung, ein blauer Fleck, aber der Schreck sitzt tief.

Vor allem Erlebnisse, die unsere soziale oder physische Integrität bedrohen, werden mit einer enormen Erinnerungsdichte gespeichert (dies mag der Grund sein, weswegen viele Menschen derartige Ereignisse als wie in Zeitlupe ablaufend beschreiben). Die Amygdala sorgt dafür, dass diese Situation mit all ihren Details ohne Umwege im episodischen Gedächtnis landet. Dieses „ohne Umweg“ kann aber auch dazu führen, dass wir keine bewusst reproduzierbare Erinnerung an diese Ereignisfolge bilden können.

Nun ist es so, dass eine Instanz (der anteriore cinguläre Cortex) in uns beständig dabei ist, ständig das Umfeld zu beobachten: einerseits sozusagen das innere Umfeld wie Blutdruck, Herzschlag etc. und andererseits die äußere Umwelt. Diese Instanz ist spezialisiert darauf, als bedrohlich gespeicherte Elemente zu identifizieren, um schnellstmöglich reagieren zu können. Da wird nicht langwierig analysiert oder nachgefragt, es geht darum, die Gefahr rasch zu erkennen und rasch zu reagieren. Entdeckt diese Instanz nun auch nur zwei Elemente, die zu einem derartigen Erinnerungsnetzwerk gehören, wird die Amygdala informiert und die aus Sicht dieser vorsprachlichen Instanz angemessenen Reaktionen gestartet. Und zwar ohne Rücksprache mit unserem Bewusstsein.

Dies könnte in unserem fiktiven Beispiel dazu führen, dass Nieselregen und das gleichzeitige Geräusch einer Türglocke zu einer scheinbar unverhältnismäßigen Reaktionen führen. Adrenalin wird ausgeschüttet, der Herzschlag ist beschleunigt, die Brustmuskulatur wird angespannt… Und ich könnte beginnen, mir ernsthaft Sorgen über diese Zustände zu machen, denn deren Ursache entzieht sich ja meinem Bewusstsein.

Derartige unbewusste Mechanismen können eine echte Einschränkung der Lebensqualität darstellen – diese Körperreaktionen überfallen mich ja wie aus heiterem Himmel. Und so habe ich das Gefühl, unerklärliche Angstattacken zu haben, und die Frage drängt sich auf, was denn mit mir nicht stimmt.

Wenn in einer Gesprächssequenz die Rede auf ein Erlebnis kommt, in dem sich mein Gegenüber als stark, kompetent und selbstwirksam erlebt hat, und dann aus dieser Grundhaltung auf die problematisch Situation (deren Ursachen oder Auslöser ja nicht bekannt sein müssen) geschaut wird, passiert etwas Spannendes: die eben generierte Erinnerung der Stärke, der Eigenwirksamkeit hängt sich quasi an das Netzwerk, das die problematische Situation präsentiert. Denken wir an das oben genannte Hebbsche Gesetz: wird in mir nun wieder durch Nieselregen und bunte Gummistiefel diese seltsame Reaktion ausgelöst, werden nun parallel dazu auch die Erinnerungen an Stärke und Eigenwirksamkeit aktiviert, was eine veränderte Wahrnehmung der Situation zu Folge haben kann. Und zwar ohne, dass ich nun „verstehen“ würde, was denn die Ursachen wären.

Und das kann ungemein hilfreich sein.

Idiolektik: Anwendungsfelder 1

Idiolektik: Anwendungsfelder 1

Dies ist der Start einer Reihe Interviews mit verschiedenen Personen, die lediglich gemeinsam haben, dass sie in dieser und jener Art Idiolektik anwenden. Die Interviews fokussieren auf die Anwendungsbereiche und -erfahrungen, nicht auf die Technik.

Bild von Uschi Dugulin auf Pixabay

Das Interview wurde per Zoom geführt. Zur leichteren Lesbarkeit wurde der Text überarbeitet, einige Sequenzen umgestellt und gekürzt.

Hallo Barbara.

Hallo Rainer.

Du bist ja schon seit vielen Jahren Idiolektik Dozentin… in welchen Bereichen Deines Lebens wendest Du Idiolektik überall an?

Mein erster Gedanke auf Deine Frage: Ich als Mutter mit meinen Söhnen, als sie kleiner waren… Dieses Beschreibende, das wir aus der Idiolektik kennen, war glaube ich ganz wertvoll im Umgang mit den Kindern so von vier Jahren aufwärts, um zu verstehen, was sie meinen; da ist ganz viel gute Kommunikation entstanden.

Beide Söhne sind ja nicht so die Kommunikations-Männer. Wenn ich auf dem Weg von der Schule gefragt habe, wie es heute in der Schule war, dann kam oft einfach ein „gut“ zurück. Und wenn dann auf meine idiolektische Frage „wie kann ich mir gut vorstellen?“ wieder nur ein „gut“ zurückkam –  dann konnte ich das einfach gut sein lassen, da hat mir diese idiolektische Haltung geholfen: Sie so zu nehmen mit dem, was sie jetzt gerade erzählen oder eben nicht erzählen wollen.

Also so im Privaten mit den Kindern glaube ich, dass dadurch viel entstanden ist. Dass wir uns wahrnehmen, einender begegnen und das artikulieren, was wir sehen und wahrnehmen. „Die eigene Wahrnehmung für wahr zu nehmen“, wie Hans Hermann immer wieder gesagt hat.

Diese Haltung, die wir in der Idiolektik haben, ist ja gar nicht aus dem Leben wegzudenken, die läuft einfach immer mit.

Und wie ist das außerhalb dieses Privaten?

Ich unterrichte immer wieder Menschen aus der Pflege. Der Frau, die das initiiert hat, war es wichtig, sehr viel Augenmerk auf dieses „Wahrnehmen“ zu legen. Denn in der Pflege sind die Menschen so oft im Tun und im Denken gefangen, dass dieses Wahrnehmen oft zu kurz kommt, obwohl es so wichtig wäre.

Bekommst Du da eigentlich Rückmeldungen von diesen Menschen?

Ganz selten. Aber die Stationsleitung kommt dann zur Nachbesprechung: Was haben die Teilnehmerinnen profitiert? Und da ist immer wieder die Rückmeldung gekommen, dass sich durch Idiolektik etwas auf der Station verändert hat.

Oh, das ist ja spannend!

Die Stationsleitung merkt, dass da ein anderes Klima ist, dass da was anderes stattfinden kann. Einmal hat mir eine Dame direkt eine Rückmeldung gegeben. Wir trafen uns auf der Straße, sie sprach mich an und hat gesagt, „Seit ich bei Ihnen im Kurs war, sagt mein Mann, endlich hörst du mir zu.“ Und dann denkst du dir „ja cool“.

Oder eine stillere Rückmeldung: Ich bin in den Kursraum gekommen und sehe eine Person, die mir irgendwie bekannt vorkam. Und dann hat sich herausgestellt, dass sie schon einmal im Kurs bei mir war, und noch einmal kommen wollte – sie hätte sich auch frei nehmen können, aber sie hat gesagt, dass sie noch einmal dabei sein mag.

Es ist eine befriedende, friedbringende, friedvolle Art des Umgangs miteinander. Ich glaube, man kann den Wind herausnehmen, wo es vielleicht spannungsgeladener werden könnte.

Und wie schaut es in Deiner Arbeit aus?

In meiner Arbeit mit meinen Klienten, die zum Strömen kommen, denke ich mir ganz oft: Das eine ist das Strömen, aber das andere ist auch die Art und Weise des Zuhörens… diese Präsenz, dieses wirklich eine Stunde lang ihnen den Raum offenhalten. Und nur bisschen nachfragen bei Wörtern, die sie verwendet, und dann geht es schon weiter.

Am Montag hat ein Herr zu mir gesagt „ich komme gern zum Strömen. Aber diesen Raum, den du zur Verfügung stellst, wo ich einfach alles erzählen kann, was mir am Herzen ist: das gibt es sonst nirgends.“. Das ist wahrscheinlich das Einzigartige an meiner Art Strömarbeit.

Du hast jetzt gesagt, dass dem einen Mann das aufgefallen ist, dass du da eine besondere Art des Zuhörens oder des Fragens oder der Präsenz hast. Bekommst du noch andere Rückmeldungen von anderen Leuten? Menschen, mit denen du arbeitest?

Da fällt jetzt noch eine andere Klientin ein, die schreibt mir immer an Weihnachten ein Kärtchen. Sie hat glaube ich schon vier oder fünf mal geschrieben, wie gut das einfach ist, wie ich zuhöre und wie ich da bin und welche Worte ich aufgreife.

Bei einer anderen Dame habe ich ganz oft so eine Trauer wahrgenommen, aber sie nie angesprochen. Es hat lange gebraucht, bis das nötige Vertrauen da war. Als sie dann erzählt hat, habe ich nachgefragt und sie in dem Prozess begleitet. Egal was da aufgetischt wird: es macht keine Angst, wenn man Idiolektik kennt, man muss nichts lösen. Man hat dieses Handwerkszeug, und es ist der Raum da.

Mhm, jetzt hast du ja schon eine Frage fast vorweg mitgenommen, die mir auch noch so auf der Zunge liegt. Was hat man selbst davon, dass man so einen idiolektischen Werkzeugkoffer hat, als Anwender sozusagen?

Das Herstellen von Beziehung ist so viel leichter, und die Compliance ist viel größer. Es hilft zu erfassen, wie die Person ist, der du da begegnest. Der Umgang mit Widerstand… Es hat nichts mit mir zu tun, sondern die andere Person kann jetzt gerade in dem Moment nicht. Ich respektiere das, und allein durch das Aufgreifen „Aha, jetzt wollen Sie gerade nicht über das sprechen“, wird schon wieder eine neue Tür geöffnet. Dieses Aufgreifen von dem, was da ist, von den Schlüsselwörtern und von dem Wahrgenommenen, macht Räume und Türen auf.

Gibt es noch etwas, das Du teilen magst?

Ich bin ja beim Jin Shin Jyutsu im Vorstand. Da ist gerade vieles im Umbruch, und es gehen viele Briefe durch den Äther. Da habe ich jetzt bisschen die Aufgabe gekriegt, diese Briefe immer durchzulesen. Ich sehe jeden Brief aus der Perspektive. „Wie kommt es jetzt an? Welches Wort wäre jetzt wohl idealer, damit es wohlwollend beim anderen ankommt?“.  Denn so schriftliche Ding können ja oft Missverständnisse transportieren oder angriffig wirken oder den Eindruck des Nicht-Gesehen-Werdens hervorrufen. Und dann schick ich den Brief wieder zurück, und sie sind wirklich oft begeistert, wie fein dann nachgefragt werden kann und wie friedvoll das dann wird.

Habe ich das richtig verstanden? Das ist eine Form von Idiolektik im Schriftverkehr…?

Ja, ganz genau

Also Person A möchte einen Brief an B schreiben, aber ist nicht sicher und gibt Dir den Brief zum darüber schauen?

Genau. Es ist wirklich spannend, wie viel befriedender es dann wirkt. Ich merke, Frieden ist mir gerade wichtig…  und ich glaube einfach, dass das auch wirklich etwas ganz Wertvolles in der Idiolektik ist. Ich habe das nicht gewusst, dass man das so auf das Verschriftliche anwenden kann. Als ich den ersten Brief bekam, dachte ich „uh, da könnte man noch ein bisserl feilen“, und es war dann eine super Reaktion danach.

Kam die „super Reaktion“ von der Person, die den Brief geschrieben oder von der, die ihn bekommen hat?

Das waren mehrere Personen, die sich dann gleich zum Reden getroffen haben, und es war dann sehr wohlwollend dort in diesem Rahmen.

Ja, das kann ich mir auch gut vorstellen… Jetzt ist ja schon ganz viel gesagt worden. Über die Kinder, die Ausbildung und über dein Strömen mit deinen Klienten. Gibt es noch Irgendwas, von dem du sagst, „ah, das gehört aber einfach noch dazu!“?

Ich glaub, das war’s.

Danke schön fürs Teilen!

Bitte, danke dir!

Konder-Husinsky, Barbara

„Idiolektik ist für mich eine Kommunikationsform und mein Lebensverständnis. In offener und herzlicher Präsenz ist es mir dadurch möglich, Menschen zu begegnen – im professionellen Gespräch und im täglichen Miteinander.“

Tätigkeitsfeld: Seit 2009 selbständig in eigener Praxis. Jin Shin Jyutsu-Praktikerin. Referentin an der Akademie für Fortbildungen und Sonderausbildungen am Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien. Kommunikationstrainerin. Leiterin eines Malortes nach Arno Stern. Heilmethode nach Dr. Eric Pearl. Begründerin der Firma Per Vitam. Vorstandsmitglied der GIG. Dozentin in Idiolektik seit 2013.

Qualifikationen: Dr. med., Weiterbildung in orthomolekularer Medizin und klassischer Homöopathie. Dipl. Malortleiterin nach Arno Stern. Lebens- und Sozialberaterin in Ausbildung. Zertifizierte Jin Shin Jyutsu-Praktikerin. Idiolektische Therapie (grad. IG).

www.pervitam.at

Buchtipp „Einfach fragen in Licht und Schatten“

Buchtipp „Einfach fragen in Licht und Schatten“

Nadja Oehlmann, Tilman Rentel
Einfach fragen in Licht und Schatten
Das Potential der Eigensprache in der Traumatherapie
Carl Auer Verlag
ISBN 978-3-8497-0473-5

Dieses Buch zeigt anhand einer Fülle von Beispielen, wie Idiolektik anwendbar ist. Auch wenn der Titel einen dezidierten Bezug zur Traumatherapie nahelegt, nimmt dieses Thema keinesfalls den ganzen Raum ein. Vielmehr werden in den ersten Kapiteln mannigfache Themen rund um „Idiolektik“ aufgegriffen: Entstehungsgeschichte, Haltung, Technik und Wirkungsweisen – eine wunderbare Ergänzung für Personen, die einen ersten Kontakt zu Idiolektik hatten und einfach mehr darüber erfahren wollen.

Ich kenne Tilman Rentel ja aus etlichen Webinaren und Ausbildungen, die ich bei ihm besuchen durfte. Seine Art der Vermittlung kommt meiner Wesensart sehr entgegen: fast im Plauderton werden da Techniken und Hintergründe erläutert, und dieser Stil hat auch seinen Weg in dieses Buch gefunden.

Was mich sehr erleichtert: denn als nicht-Therapeut und nicht-Mediziner habe ich immer meine liebe Not, Bücher zu lesen, die eine Menge „Fachchinesisch“ enthalten (wobei ich die Notwendigkeit derartiger Bücher keinesfalls in Frage stelle! Aber für mich als interessierten Laien ist es halt echt schwer!). So freue ich mich immer gleich doppelt, wenn es Bücher gibt, die Beispiele und Erklärungen aus dem professionellen Alltag bringen und es dabei schaffen, auch für interessierte Laien gut lesbar zu sein. Beides trifft hier in vollem Maße zu.

Die sehr ausführliche Beschreibung der idiolektischen Haltung und Technik nimmt gute 150 Seiten des Buches ein, das aus meiner Sicht daher auch als wunderbare „Einführung in die Idiolektik“ dienen kann.

Im Buch gibt es immer wieder einerseits „Erlebniseinladungen“ an die Leserschaft, durch kleine Übungen oder Gedankenspiele das Gelesene zu reflektieren, aber auch geraffte Zusammenfassungen der in diesem Abschnitt beschriebenen Themen. Beide sind durch die Art der Formatierung beim raschen Durchblättern zu finden, was mir schon das eine oder andere Mal gute Dienste geleistet hat. Auch die Gesprächsbeispiele sind gut erkennbar gesetzt und decken ein großes Spektrum an Erlebnistiefen ab, sodass man sich ein gutes Bild von der vielfältigen Anwendung dieser Technik machen kann.

Kurzum: Lesen lohnt sich!

Gesprächsmitschnitt „Lebendig sein“

Gesprächsmitschnitt „Lebendig sein“

Hier mal wieder das Transkript eines Gespräches aus einem Zoom-Übungsabend zum Thema „Was ist Leben“. Wir sammelten Einstiegsfragen und legten los. Das hier transkribierte Gespräch dauerte im Original rund 17 Minuten. Um die Lesbarkeit zu verbessern, wurde der Text um ca. 1/3 gestrafft, indem Wiederholungen und manche Passagen gestrichen wurden. Letztere werden durch ein (…) angezeigt. Grammatikalische Ungenauigkeiten wurden teilweise beibehalten. Ich habe den Text unkommentiert gelassen – nur ganz zu Beginn sind paar Bemerkungen notiert.

  • Zu Beginn sind die Antworten kurz – davon brauchen wir uns nicht abschrecken zu lassen. Der Gesprächspartner brauchte halt Zeit, um „in Fahrt“ zu kommen.
  • Das Paralogische: wir folgen keinem roten Faden, sondern greifen Wörter auf, die uns günstig erscheinen, und lassen uns überraschen, wohin sie uns führen. Wir können unbekümmert von Bild zu Bild springen und uns darauf verlassen, dass alles Gesagte Bedeutung hat in diesem Hier und Jetzt.
  • Das respektvolle „So sein lassen“: An einer Stelle kann eine Frage nicht beantwortet werden (10) – es wird einfach entspannt eine andere Frage gesucht. Das Beschreiben lassen eines Bildes, einer Metapher, ist eine beliebte Technik in der Idiolektik. Nicht immer wird dieses Angebot angenommen – da heißt es dann, unverzagt eine neue Frage zu suchen 🙂
  • An einer anderen Stelle scheint die Antwort in keinem Zusammenhang zur Frage zu stehen (18). Dies wird einfach so akzeptiert, es gibt kein Nachhaken. keine Korrektur. Ev. hat der Erzähler „Dazwischen“ anstelle von „Erwischen“ verstanden? Wir wissen es nicht,
  • Manche Fragen greifen keine Schlüsselworte auf, sondern laden ein, einen Faden weiterzuspinnen: „Mach mal ein Beispiel“, oder „Wie geht das“?“ (14, 17, 19).

1. „Wann fühlst Du Dich lebendig?“

„Wenn ich mich selber gut spüre.“

2. „Mhm… und wie geht das? Wann spürst Du Dich gut?“

„Ahmm… Wenn ich in einer heißen Badewanne liege… Wenn ich mich mal wieder über das Tanzen getraut habe… Wenn ich mit den Hunden knuddle… Ja, dann fühle ich mich ziemlich lebendig.“

3. „Das zweite, was Du gesagt hast – war das was mit Tanzen? Ich hab das akustisch nicht verstanden.“

„Wenn ich mich mal wieder über das Tanzen getraut habe…“

4. „Hmmm… und wenn Du Dich rüber getraut hast, wie sieht das dann aus?“

„Wenn alles gut geht, ist das dann nachher ein gutes Gefühl, ja.“

5. „Und wie kann ich mir dein Tanzen vorstellen?“

„Naja, ich vermeide das Wort „Tanzen“, weil mit „Tanzen!“ Bilder im Kopf habe, die nichts mit meinem Körper zu tun haben. Wenn ich an „Tanz“ denke, denke ich an schlanke Gestalten, und ich bin nicht schlank, die sich elegant sehr beweglich bewegen, und ich bin weder sehr beweglich noch sehr elegant. Und deswegen bevorzuge ich den Ausdruck „mich zur Musik bewegen“, weil das macht mir ein bisserl weniger Stress. (…) Also ich brauche ein Weile, um Hemmschwellen abzubauen, und da ist es günstig, wenn es eine angeleitete Tanzgruppe ist, wo eine Person, die den Abend leitet, Impulse gibt, denen ich auch gut nachkommen kann.“

6. „Mhm… Was wäre denn so ein Impuls?“

„Meine immerwährende Sorge beim freien Tanzen ist, wenn ich mit jemandem in Kontakt gehen möchte, dass alle mich nicht wollen. Das ist ein uraltes Kindheitsthema bei mir, immer schon gewesen. Wenn ich so in freien Gruppen bin, manifestiert sich diese Sorge ganz massiv. (…) Ich bin als Kind immer als letzter ausgewählt worden, wenn es irgendwo darum ging, Gruppen zu bilden oder so, das hat sich anscheinend irgendwie festgesetzt. Und wenn da aber ein Tanzpädagogin ist (…), die dann sagt, bewegt Euch mal zur Musik, sucht mal Augenkontakt, und dann, wenn Ihr Augenkontakt habt, dann lächelt mal diese Person einfach an. Da kann nichts schiefgehen, da lächle ich halt, und dann, so langsam komme ich dann in diese Gruppe hinein. Und dann kann man auch schauen, lasst mal die Hände Euch durch den Raum tanzen, vielleicht begegnet Euch da eine andere Hand, und dann tanzt die Hand ein bisschen was und dann geht ihr wieder auseinander. Also ich brauche solche Annäherungsschritte (…). Irgendwann ist es dann auch einmal soweit, (…), dass ich dann einfach von mir aus einfach auf Menschen zugehen kann und da in Kontakt gehe oder einfach für mich alleine bleibe und nicht gekränkt bin, wenn ich nicht in Kontakt komme, obwohl ich vielleicht gerne möchte.“

7. „Hmmm… Magst Du mir noch zu der Hand was sagen?“

„Ich hab vor langer, langer Zeit eine Tanzpädagogikausbildung gemacht, obwohl ich nie getanzt habe. Es wundert mich eigentlich bis heute, dass ich da reingegangen bin in diese Ausbildung… (…). Und einer der ersten Übungen, die mir es wirklich leicht gemacht haben, in Bewegung zu Musik zu kommen, ohne dass ich mir deppert vorkomme, war einfach die ganz simple Aufgabe „lasse dich von deiner Hand durch den Raum führen“. Und dann bin ich wirklich einfach meiner Hand hinterhergelaufen. Und das war so spannend. (…) Auf einmal ist die Hand nach oben gegangen, ich bin halt unter der Hand durch, und da kam auf einmal eine Drehung zustande. Und also diese Übung hab ich geliebt, und die hilft mir heute noch, um ins Tanzen zu kommen. Dass ich da eine Hand habe und der überlasse ich jetzt die Führung und folge der Hand (…)“

8. „Die Führung überlassen. Was fällt dir noch dazu ein?“

„(…) Ja, (da) mach ich halt Bewegungen und schau der Hand hinterher und irgendwann beginnt sich die Hand quasi zu verselbständigen. Da ist kein bewusstes Wollen mehr dahinter. Und das ist dann einfach ein sehr feines Gefühl, wenn ich den Eindruck habe, OK, jetzt, jetzt ist irgendwas auf Automatismus geschaltet und jetzt kann sich mal irgendjemand anderer austoben als … das da oben.“

9. „Du sagtest kein bewusstes Wollen. Woher kennst du das noch?“

„Ich wollte kurz sagen von idiolektischen Gesprächen, weil da ist es ja auch so, dass ein bisschen, wenn das Gespräch gut im Fluss ist, dann bist du einfach nur noch im Gespräch und möchtest oder willst auch nichts mehr. Es ist eher so ein Aspekt von sich treiben lassen, ja. Aber vielleicht… Treiben lassen? Ist zwiespältig ja, treiben lassen kann man sich in einem Fluss. Oder man kann auch sich in einem Fluss aktiv bewegen (…), ohne sich nur treiben zu lassen und trotzdem sich treiben lassen. Also ist ein bisschen schwer zu erklären jetzt, ja.“

10. „Magst du mir den Fluss beschreiben?“

„Welchen?“

11. „Von dem du jetzt gerade gesprochen hast.“

„Nee, kann ich gerade nicht.“

12. „OK.“

„Hab ich grad kein Bild dazu.“

13. „Mhm, das ist total in Ordnung… Ich würd kurz ein bisschen zurückrudern zu dem Moment, wo du beschrieben hast und gesagt hast „Es leicht gemacht“ (Anm.: 7). Was braucht es für dich, damit es leicht gemacht wird?“

„Glückliche Umstände.“

14. „Mach mal ein Beispiel!“

„(…) Es sind hier so viele Faktoren, die da eine Rolle spielen. (…) Das ist, wenn ich ausgeschlafen oder nicht; sind das Menschen, die ich kenne oder nicht. Gab es irgendetwas, wo ich den Eindruck habe, ah, da schaut mich jemand schief an, oder beobachtet mich? (…) Aber manchmal gibt es einfach so Momente, da ist es so ein bisschen, als hätte man Rückenwind. Weißt du, dann gehen die die Dinge, die sonst schwer sind. (…). Will sagen, dass Dinge, die dich sonst Mühe kosten, manchmal keine Mühe kosten, die gehen einfach. Aber Du brauchst auch schon auch Energie und du musst was tun, aber es ist geschmeidiger, einfach. Eben so ein bisschen wie mit Rückenwind Fahrradfahren, du musst schon treten, aber du merkst es geht einfach ein bisschen leichter, das ist einfach schön.“

15. „Mhm, jetzt habe ich ein Bild von dem Fahrrad. Vielleicht du auch, wenn du eines hast, würdest du mir bitte das Rad beschreiben, das Fahrrad?“

„Also … ich bin seit einem knappen Jahr stolzer Besitzer eines eBikes.“

16. „OK.“

„Mit dem eBike fahr ich tatsächlich Strecken die ich mit dem normalen Fahrrad niemals fahren würde weil ich total verschwitzt wäre. (…) Aber so dieses Rückenwind haben, das hat was! Ich hab einfach den Eindruck, es gibt Situationen, da gelingen manche Dinge. (…) Ich liebe das „Gelingen“ ja so, das hast du wahrscheinlich eh schon von mir mal gehört, dass wir eben Sachen gut machen können, und sie sind trotzdem nicht gut oder nicht gelungen, obwohl wir alles richtig gemacht haben. Manchmal machst du alles richtig und es wird nicht gut und manchmal machst du alles richtig und es wird super. Und ich hab so den Eindruck, da ist dann dieser kleine Aspekt des Rückenwindes dabei, das kleine Etwas, das zu einem richtigen Gelingen einfach beiträgt, auf man keinen bewussten Einfluss hast. (…) Manchmal gibt es Situationen, da fällt es leichter, dass etwas gelingt. Dann ist weniger Anstrengung, weniger Hemmungen und das ist einfach fein.“

17. „Magst du dazu noch was sagen?“

„Irgendwie kommt jetzt gerade ein Anspruch „Sanfter Wind bringt gelingen“, glaube ich, lautet das Originalzitat. Stammt aus „Großer Tiger und Christian“ glaube ich. Und sonst… es gibt ja so eine recht alte chinesische Strategemsammlung (…), eines lautet „mit sanfter Hand das Schaf fortführen“ . Und das beschreibt sozusagen, wie sagt man… die Gunst des Augenblicks nutzen. (…) Wenn Du diese Gunst erwischt, dann wird das Leben schön und entspannt und freudvoll und gelingt und dann gelingen Sachen, die sonst schwierig sind.“

18. „Und wie geht das Erwischen?“

„Dann… dazwischen muss man sich mehr anstrengen. Und einfach lernen, mit dem zufrieden zu sein, was man geschafft hat. Auch wenn es nicht gelungen ist.“

19. „Ja, und wie geht das?“

„Mal mehr, mal weniger gut (Lachen)“

20. „Wenn es für dich in Ordnung ist, würde ich dann an dieser Stelle das Gespräch beenden und dich dazu einladen, noch was zu sagen, falls es noch was gibt, was du da lassen möchtest.“

„Ja, das passt.“

21. „Dankeschön!“

gekürztes Transkript eines per Zoom geführten Gespräches

Rückblick „Märchenhafte Idiolektik“

Rückblick „Märchenhafte Idiolektik“

Im Jänner 2023 boten Karin Duit und ich ja das Wochenendseminar „Märchenhafte Idiolektik“ an – welch wunderbare Zeit! Wir waren eine kleine Gruppe, deren Teilnehmerinnen einander gegenseitig an ihren Geschichten und Prozessen teilhaben ließen. In dieser Zeit erlebten wir sehr berührende und heitere Momente!

Die Seminarzeiten waren aufgeteilt in Gespräche in der ganzen Gruppe und den Zeiten, in denen jede einzelne für sich alleine an ihrem Märchen oder Bild arbeitete. Bei Bedarf gab es die Gelegenheit, Karin oder mich zu einem Gespräch oder andere Unterstützung zu holen.

Die Gespräche in der Gruppe dauerten jeweils rund 10 Minuten. Das mag sich nach wenig anhören, aber um die Fragetechniken zu üben hat sich ein solcher Zeitraum bewährt – es ist eine anstrengende Hirnleistung, sich auf diese neuen Fragen und Herangehensweisen einzulassen. Und es war, glaube ich, für uns alle überraschend, wie viel Bewegung sich innerhalb dieser kurzen Gespräche zeigte, und wie viele Blickpunkte und Themen auftauchten.

Diese faszinierende Möglichkeit der Idiolektik, allein über das Beschreiben lassen von und Eintauchen in Bilder Gespräche zu führen, fand in den Märchen eine wunderbare Ergänzung. Hier können sozusagen „anonym“ private Themen verpackt und angesehen werden, mit einem gewissen „Sicherheitsabstand“ gewissermaßen. Ich hatte den Eindruck, dass dies durchaus hilfreich war.

Alles in allem: ich denke, wir werden das wiederholen 🙂

caffe macchiato, lago de maggiore und Rosen

caffe macchiato, lago de maggiore und Rosen

Sollte ich eine Liste von Menschen erstellen, die mich in meinem „Jetzt-hier-in-der-Welt-sein“ maßgeblich und nachhaltig geprägt haben, so steht Hans Hermann Ehrat ganz weit oben. Er liebte Wien und Idiolektik, und diese Kombination hat ihn über lange Jahre regelmäßig nach Wien reisen lassen. Seit geschätzt 1996 war ich über lange Zeit regelmäßiger Teilnehmer dieser Wochenendseminare. Was als das Üben von Technik begann, ging im Laufe der Jahre über in eine Art innerer Haltung dem Leben gegenüber, die ich als bereichernd und bestärkend empfinde. Gestern erhielt ich die Nachricht, dass Hans Hermann Ehrat am 15. Juli 2023 im 86. Lebensjahr verstorben ist.

Ich bin traurig. Und beglückt zugleich. Irgendwann in den ersten Jahren hatten einige TeilnehmerInnen hier in Wien den Spruch vom „kleinen Hans Hermann im Ohr“ geprägt. Denn in unseren Peergroups kam oft die Frage „was würde Hans Hermann wohl…“ auf, und irgendwann wurde daraus ein „Der kleine Hans Hermann in meinem Ohr würde wohl…“, das uns längere Zeit begleitete.

In jenen Gesprächen, in denen er selbst erzählte, ging es oft um Rosen, was oft für Heiterkeit sorgte – „Ah, da sind sie ja wieder!“ – aber es wurde uns niemals zu viel. Die Auswahl der Rosenstöcke, die Arrangements im Garten, die Pflege, die Freude an den Blüten und dem Duft.

Gingen wir essen, so bestellte er sich anschließend, wenn meine Erinnerung mich nicht täuscht, immer einen „caffe macchiato“, und er schien diese Wortkombination jedes Mal irgendwie zu genießen. „caffe macchiato“… Ob er da an den lago de maggiore dachte, von dem er auch immer wieder mal erzählte? Italien? Oder an Siracusa? Meine Frau meinte, dies sei ein „Seelenort“ von ihm gewesen.

Anfangs fuhr er stets mit dem eigenen Auto von der Schweiz nach Wien, später nahm er den Flieger, was ihm anfangs nicht so recht schmecken wollte. Das Alter begann seien Tribut zu fordern. Seine Seminare liefen immer gleich ab – bisserl Erklärung, viel Üben, mit langen Gesprächen und ausführlichen Reflexionen darüber. Stets im Plenum, ich habe nie erlebt, dass er Kleingruppen gebildet hätte. Als ich ihn einmal darauf ansprach sagte er etwas in der Art: er habe Sorge, dass in diesen Kleingruppen Dinge gesagt oder erlebt werden, die entweder nicht idiolektisch oder aber verletzend sein könnten. Er sah sich stark in der Verantwortung in seiner Rolle als Vermittler der idiolektischen Technik und Haltung.

Da tauchen noch weitere Bilder und Gesprächsfetzen auf… Aber das wäre wohl zu viel, es ist Zeit, zu einem Schluss von dieser kleinen Gedankenreise zu kommen. Ich merke, es hat gut getan, das hier zu schreiben.

Seufz… das letzte Mal traf ich ihn in Wien, bei einem Seminar im per Vitam. Dafür bin ich dankbar, dass ich somit eine relativ frische Erinnerung an ihn habe. Gibt es da nicht einen Bibelspruch der Art „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“? Ich hoffe, dass das auch für Hans Hermann gilt – dass sein Geist, sein Lachen, seine Zuversicht uns irgendwie so im Hintergrund leise begleiten.

Das wäre schön!

Wenn eine Frage nicht angenommen wird …

Wenn eine Frage nicht angenommen wird …

Es wird uns immer wieder passieren, dass eine technisch wunderbare Frage nicht also so wunderbar empfunden wird, wie wir uns das erhofft hatten. Das mag irritierend sein, oder uns verunsichern, aber ist im Grunde genommen eine wunderbare Lernmöglichkeit der Demut und der Flexibilität und schützt vor allzu großer Selbstsicherheit.

Bild von Attila Nagy auf Pixabay

Das Wichtigste ist wohl, es nicht persönlich zu nehmen. Es ist selten, dass eine technisch korrekte Frage die hoffentlich gute Beziehung zu meinem Gegenüber nachhaltig stört. Man könnte es vielmehr als ein Zeichen dafür nehmen, dass ich in meiner Rolle als Gesprächsleiter einerseits und die Rahmenbedingungen andererseits ernst genommen werden: Niemand muss hier irgendeine Frage beantworten, wie hier beschrieben, und es ist meine Rolle als Gesprächsleiter, adäquat darauf zu reagieren. Schauen wir uns doch paar kleine Beispiele an, die ich in der letzten Zeit sammeln durfte..

Eine wunderbar offene Frage zum Gesprächseinstieg. Manchmal zu offen, und da können wir halt auf das zurückgreifen, was unmittelbar davor geschehen ist, oder etwas aufgreifen, das sich vor unserer Nase befindet hier der Beginn eines Gespräches, das über Zoom geführt wurde:

„Und… Hast Du etwas, worüber Du erzählen möchtest?“

„Jetzt gerade interessanterweise gerade nichts, mir fällt gerade wirklich nichts ein.“

(lacht) „Ok, dann gucke ich mir einfach Dein Bild genauer an, und in Deinem Hintergrund habe ich eine Gitarre hängen, kannst Du mir zu der was sagen?“

Unsere Fragen sind ja Angebote an unser Gegenüber, Einladungen, mal diesen oder jenen Gedankenweg zu gehen. Manchmal kann es passieren, dass eine scheinbar leichtfüßige Frage die Gedanken meines Gegenüber in Bahnen lenkt, die aus welchen Gründen auch immer in diesem einen Hier und Jetzt nicht beschrieben werden wollen. Eine schöne Gelegenheit, unsere Kompetenz als flexible und respektsvolle Gesprächsleiter (nicht ich bestimme Thema und Richtung des Gesprächs) unter Beweis zu stellen.

„Und wenn Du da so im Wald gehst…?“

„Ja, das ist total toll, ich gehe barfuß, das ist so richtiger Waldboden, also so mit Wurzeln und so… Da muss man schon aufpassen, damit man nicht stolpert. Und rundum die Bäume, das ist schon toll.“

„Und was ist da noch so?“

„Naja, Tiere halt, Vögel, Eichhörnchen, Rehe, manchmal sehe ich auch Spuren von Wildschweinen. Die laufen halt auch so ihrer Wege, so wie ich.“

„Und wie kann ich mir Deinen Weg so vorstellen?“

(längeres Schweigen) „Das möchte ich nicht erzählen.“

(kurze Pause) „Ok. Und wie ist das mit den Wegen der Tiere?“

Ev. wäre es besser gewesen, noch einen weiteren Schritt zurückzugehen, ev. zum Waldboden, der ja eine sehr lebendige, sinnliche Erinnerung zu sein schien. Aber das war mir justament nicht eingefallen, und über die Wege der Tiere konnte mein Gegenüber dann wieder sehr gut plaudern.

Gerne fragen wir ja auch nach Beispielen, wo jemand dies oder jenes noch gesehen hat oder von wo er dies oder jenes noch kennt. Und manchmal kommt da nichts zurück. Dann heißt es ev. einen Schritt zurückgehen und ohne großes Aufheben eine neue Frage zu stellen:

„Wenn man seine Nase in einer schöne Hollerdolde steckt, hat man nachher eine gelbe Nase.“

„Was ist das für ein Gelb?“

„Ein zartes Gelb, kein Zitronengelb… eher ein zarter Gelbton“

„Und kennst Du noch was anderes, das einen so zarten Gelbton hat?“

„Hmm… da fällt mir überhaupt nichts ein.“

„ok… und was ist das Gute daran, sein Nase in eine Hollerstaude zu stecken?“

Und dann kann es auch sein, dass meine Frage lediglich Verwirrung auslöst oder schlicht nicht verstanden wird. Ich bemühe mich dann eher, eine neue Frage zu finden, anstelle meine ursprüngliche Frage zu erklären oder zu begründen. Manchmal gerate ich mit Fragen die ich an sich besonders mag, in Situationen, wo diese überhaupt nicht „funktionieren“ wie ich das erhoffte. So z.B. wenn ich ein Element einer Metapher aufgreife:

„Das ist dann so wie ein Knäuel in meinem Kopf, so voller Gedanken oder so.“

„Und wie schaut dieses Knäuel aus?“

„Ähh… wie meinst Du das?“

„Ist nicht so wichtig. Aber sag, was geht Dir gerade im Kopf herum?“

Technisch korrekt, ein Bild aufgreifend… wunderbar. Aber in diesem Hier und Jetzt einfach zu weit hergeholt oder sonstwie unpassend. Da frage ich dann gerne mal, was jetzt gerade da ist, einfach um eine gemeinsame Orientierung zu ermöglichen.

Mittlerweile empfinde ich derartige Situationen eher als beruhigend als irritierend. Sie sind ein schönes Zeichen dafür, dass meine Gegenüber sich frei und sicher genug fühlt, gut auf sich zu schauen. Und das macht alles irgendwie leichter. Finde ich halt.

Idiolektik in privaten Gesprächen

Idiolektik in privaten Gesprächen

In einer der letzten Übungsrunden war eine freundliche Dame mit von der Partie, die das Thema Kommunikation eher aus privaten Gründen interessiert. Am Ende stellte sie die Frage in den Raum, wie sie denn diese „Technik“ im privaten Kontext anwenden könne.

Bild von Viola ‚ auf Pixabay

Der Terminus „idiolektische Gesprächsführung“ ist ja zum Teil irreführend. Ein Gespräch ist geprägt von einem ständigen Wechseln der Rollen – mal erzählt die eine Person, die andere hört zu, stellt vielleicht die eine oder andere Frage, und dann tauschen sie die Rollen, und die Zuhörerin wird zur Erzählerin und so weiter.

Die klassische Idiolektik ist von diesem Aspekt her eher eine Interview- als eine Gesprächstechnik. Die Rollen sind klar verteilt: Du fragst, ich erzähle. Du gibst möglichst wenig Deiner Geschichten, Gedanken und Ideen dazu, damit ich ungestört Raum habe, um meine Geschichten, Gedanken und Ideen auszubreiten.

Im Alltag führe ich ja auch kaum „klassische“ idiolektische Gespräche. Das bedeutet jedoch nicht, dass ich mich nicht der Technik bediene – ich rede dann gerne von „idiolektischen Sequenzen“ in einem Gespräch. Und diese erleichtern es mir ungemein, ins Gespräch zu kommen, Ärgernisse zu mindern, bei schweren Themen präsent zu bleiben, mein Gegenüber auch von unerwarteten Seiten kennenzulernen und so weiter.

Das erste Beispiel, an das ich mich bewusst erinnere, stammt zwar aus dem beruflichen Kontext, aber mag gut zeigen, was ich meine. Ich leitete damals Computerkurse, auch in Firmen. Der erste Tag, etwa zehn mir unbekannte Personen. Eine davon zeigte unverhohlen großen Ärger, was sich in bissigen Bemerkungen, Augenverdrehen und derartigen Signalen äußerte.

„Ich habe den Eindruck, Sie sind nicht zufrieden, hier zu sitzen…“ – „Nein, überhaupt nicht, ich bin ja nicht freiwillig hier her gekommen!“ – „Was hat Sie denn dazu gebracht, hierher zu kommen?“ – „Na was schon, eine Dienstanweisung.“ – „Ah, ok, dann kann ich Ihren Ärger verstehen… – Eine Dienstanweisung?“ – „Ja, von oben, die meinen halt, wir alle bräuchten das hier.“

Leider weiß ich nicht mehr, wie sich das Gespräch weiter entwickelt hat (Ist halt schon über 20 Jahre her). Ich glaube, ich fragte, was in diesen drei Tagen geschehen müsse, damit diese Person die Zeit nicht als verloren betrachten würde („verlorene Zeit“ war eine Phrase, die sie einbrachte). Auf alle Fälle erinnere ich mich daran, dass sich die Stimmung der Person erheblich verbesserte. Das ist auch der Grund, wieso mir dieses Erlebnis so stark in Erinnerung ist: an der Situation selbst konnte ich nichts ändern, die Person auch nicht, aber dennoch, durch Würdigen der Gefühle und konkretem Nachfragen, ergab sich hilfreiche Entspannung.

Ich finde es so bereichernd, in Alltagsgesprächen kleine idiolektische Sequenzen einzubauen. Eine Metapher aufgreifen, mir etwa genauer beschreiben lassen… das sind keine großartigen Dinge, aber führen doch zu lebendigeren Gesprächen und kleinen neuen Blickwinkeln.

Das konsequente Üben der Technik führt, so glaube ich, zum Verinnerlichen der zugrundeliegenden Haltung: nicht-wertendes Zuhören, keine Ratschläge, das Vertrauen darauf, dass das Gesagte Bedeutung hat. Nichts Bestimmtes erfahren wollen, offen sein für das, was gesagt werden mag. Präsent sein.

Und das tut, so meine Überzeugung, allen Gesprächen gut.

Scheinbare Nebensächlichkeiten I

Scheinbare Nebensächlichkeiten I

Es gibt so viele Aspekte, die das Gelingen eines Gespräches beeinflussen. Einige sind ganz banal, andere ein bisserl komlizierter, manche waren für mich unerwartet. Kurzum, in dieser losen Serie „Scheinbare Nebensächlichkeiten“ möchte ich ungeordnet und ohne Anspruch auf Vollständigkeit einige Dinge erwähnen, mit denen wir uns das Leben und gelingende Kommunikation leichter machen können, und auch mögliche Hintergründe und Erklärungsmodelle (die ich mir so aus verschiedenen Quellen zusammengereimt habe) für einige „idiolektische“ Techniken und Rahmenbedingungen liefern.

Bild von Eduardo Ruiz auf Pixabay

Wieso sitzen wir nebeneinander?

In idiolektischen Gesprächen sitzen wir meist eher nebeneinander als einander gegenüber (was bei ZOOM-Gesprächen natürlich nicht so ganz funktioniert). Das mag zu Beginn irritierend sein, aber mittlerweile genieße ich es.

Gemeinsam das Bild betrachten
Mir gefällt die Vorstellung gut, dass im Laufe eine Gespräches ein Bild entsteht, ein Gemälde, und mein Gegenüber (also eigentlich mein „Nebenmir“, aber ich bleibe beim „Gegenüber“) und ich nebeneinander sitzend auf dieses sich entfaltende Werk blicken.

Dann und wann stellt sich bei mir dann ein Gefühl ein, wie ich es von z.B. Wanderungen kenne: wenn wir nebeneinander nach einem Aufstieg stehend oder sitzend rasten und ohne Worte, in einer Art stillem Einverständnis, die Landschaft betrachten. Diese Art der Nähe finde ich wunderbar.

Sein können wie ich jetzt gerade bin
Idiolektik ist bemüht, einen sicheren Raum zu schaffen, in dem mein Gegenüber möglichst ohne Sorge all das zeigen und aussprechen kann, was sich in diesem Hier und Jetzt eben zeigen und Gehör verschaffen mag. Und das fällt mir leichter, wenn ich vor mir einen freien Raum sehe. Gesichter und Augen üben auf uns einen fast unwiderstehlichen Reiz aus, ziehen unseren Blick auf sich. Und es scheint auch so zu sein, dass, wenn wir Augen auf uns gerichtet sehen, wir uns beobachtet fühlen und eher Erinnerungen und Ideen kommunizieren, die wir als gesellschaftlich akzeptabel ansehen. Dazu gibt es ja mehrere nette Experimente. Das wohl bekannteste ist das folgende:

Ein Kaffeeautomat in einer Kantine, daneben eine Box, in die die KaffetrinkerInnen die ihnen angemessen erscheinenden Beträge einwerfen. Eine Woche lang hing über dieser Box (ich habe neulich gelesen, dass diese im Englischen „honesty box“ heißt – welch schöne Bezeichnung!) ein neutrales Bild – Landschaften, Blumen. In der nächsten Woche dann ein Augenpaar, oder die Großaufnahme eines zugewandten Gesichts. Dieses Spiel wurde über einige Wochen wiederholt und am Ende jeder Woche ein Kassasturz gemacht. Ergebnis: Allein durch das Anbringen von „Augenbildern“ bezahlten die KaffeetrinkerInnen im Schnitt den 2,75-fachen Betrag für ihre Getränke.

Die Freiheit, plaudern oder einfach gehen zu können
Idiolektische Gespräche sind des Öfteren von einer Leichtfüßigkeit getragen, die durchaus auch bei großen Themen eher an eine angelegentliche Plauderei erinnert. Bei mir ist es jedenfalls tatsächlich so, dass so eine Plauderstimmung sich eher in einem Nebeneinander- als in einem Gegenübersitzen einstellt.

Ein Gedanke, den einer meiner Lehrerinnen äußerte ist: wenn vor mir der Raum frei ist, habe ich eher das Gefühl, jederzeit aufstehen und einfach gehen zu können, als wenn mir gegenüber jemand sitzt. Das mag dazu führen, dass unser Gegenüber sich vielleicht weniger eingeengt fühlt, und somit in einem entspannteren Gesamtzustand ist.

Und ein solcher ist halt ungemein hilfreich…

Übungsgruppen-Gedanken: Reflexions- und Feedbackrunden

Übungsgruppen-Gedanken: Reflexions- und Feedbackrunden

Eine der größten Lernmöglichkeiten in Übungsgruppen ergeben sich durch die Runden nach einem Gespräch. In diesen Runden können Fragen gestellt oder Hypothesen geprüft werden. Wir können erzählen, was das Gehörte in uns bewegt hat, und einbringen, wie wir an dieser oder jener Stelle gefragt oder im Gespräch weitergegangen wären.

Bei diesen Runden lege ich großen Wert auf gewisse Regeln – ich habe das eine oder andere Mal erlebt oder miterlebt, wie zu sorglos moderierte Runden sich nachteilig oder verletzend ausgewirkt haben, und dieses Risiko will ich vermeiden. Das Gespräch findet in einem geschützten Rahmen statt, und diesen Schutz möchte ich auch auf die Nachbesprechung ausgeweitet wissen.

Dabei mischt sich ja oft zweierlei: Einerseits die Gedanken, Gefühle, Bilder, die das Erzählte bei mir als Zuhörer ausgelöst hat, andererseits technische Fragen in Richtung der fragenden Person. Das schöne ist: wir müssen hier nicht differenzieren, denn die Art des Feedbacks bleibt gleich – eigentlich ist es ja Ausdruck einer respektvollen, eigenverantwortlichen Grundhaltung.

Was sind nun also diese Regeln?

„Wenn Ihr eine Rückmeldung gebt: sagt sie dem Coach des Gesprächs, also mir. Die beiden hier (also ErzählerIn und FragerIn) sollen die Freiheit haben, zuhören oder ihren eigenen Gedanken nachhängen zu können. Und wenn ihr sie nun direkt ansprecht oder befragt, dann ist das nur schwer möglich. Wenn Ihr das ganz besonders sauber machen wollt: schaut dabei mich an und redet von den beiden hier in der dritten Person.“

Soll ein gutes Gespräch, das vielleicht sogar hilfreiche neue Blickwinkel auf Situationen beinhaltete, innerlich gut weiterwirken können, dann braucht es eine Weile Ungestörtheit. Nun ja, ganz ungestört sind wir ja in der Übungsgruppe nicht, aber durch diese Wahl der Adressierung geben wir doch zumindest ein gewisses Maß an Wahlfreiheit.

„Bleibt immer bei Euch. Bei den Feedbacks erzählt ihr von Euch, von Euren Beobachtungen und Wahrnehmungen. Versucht zu unterscheiden, was ihr z.B. gesehen habt und was Eure Wahrnehmung, Eure Interpretation dazu ist. „

Diese Regel habe ich im Authentic Movement als „Zeugenschaft“ kennengelernt und 1:1 in unsere Runden übernommen. Wenn ich dezidiert von meinen Wahrnehmungen erzähle, dann ist die Gefahr geringer, Zuweisungen zu machen. „Da war der Erzähler traurig“ kann beim Erzähler Widerspruch hervorrufen, wenn er die Situation anders in Erinnerung hat – Ein „Ich hatte den Eindruck, dass der Erzähler da traurig war“ dagegen kommt ganz anders an, es stülpt dem anderen nichts über.

Und wenn wir diese kleine Sequenz noch verfeinern wollen, könnten wie noch die Beobachtung von der Wahrnehmung trennen: „Ich habe gesehen, dass der Erzähler Tränen in den Augen hatte. Die Stimmer ist leiser geworden an dieser Stelle. Ich hatte den Eindruck, er war traurig.“

Und noch einen Grad feiner wird das Feedback, wenn ich noch weiter in mich hineinlausche und von meinem eigenen Mit-Erleben („präverbale Wahrnehmung“, die Spiegelneuronen lassen grüßen!) erzähle. Dann könnte aus dem „Ich hatte den Eindruck, er war traurig“ ein „Da habe ich in mir so etwas wie Traurigkeit gespürt.“

Und wenn ich eine Frage zur Gesprächsführung habe, dann kann ich das ja auch ganz wunderbar mit diesen Regeln machen. Mal ein plakatives Beispiel (das tatsächlich einmal in etwa so geäußert wurde): „Du hast ja gar keine idiolektischen Fragen gestellt!“. Das ist alles andere als wertschätzend, finde ich. Wie kann man das entschärfen? Zuerst einmal dadurch, dass man nicht den Befragenden selbst adressiert (Regel 1) und durch eine differenzierte Darstellung des Sachverhalts: „Die Fragen griffen Worte auf, die aus dem Problemkontext stammen.“. Dies gekoppelt mit einer Verbalisierung der eigenen Vorstellung „Ich habe im Kopf, dass wir in der Idiolektik immer schauen, auf die Sonnenseite zu kommen.“ führt dann zur einfachen, klassisch-idiolektischen Frage „Kannst Du mir dazu etwas sagen?“. Diese Frage kann dann entweder der Coach direkt beantworten, oder er gibt sie an die fragende Person weiter. Ich finde, das fühlt sich doch schon ganz anders an, oder?

Die dritte Regel stammt ebenfalls aus dem Authentic Movement:

„Das Gespräch dauerte 20 Minuten, d.h. wir haben knapp 20 Minuten Zeit für die Runde. Es wird nicht länger über eine Gespräch geredet, als es gedauert hat.“

Mit hilft diese Regel sehr, da so vermieden wird, dass etwas „zerredet“ wird. Wenn in der Runde eine technische Frage angesprochen wird, deren Beantwortung längere Zeit in Anspruch nehmen würde, notiere ich sie und beantworte sie im Anschluss an die Runde.

Ja, das war es auch schon. Für mich sind diese Regeln haltgebend und eine gute Übung für differenzierte Beobachtung. Darum werde ich sie wohl beibehalten…