Warum ich kurze Fragen so liebe

Warum ich kurze Fragen so liebe

Ein „klassisches“ idiolektisches Gespräch verfolgt ja kein thematisches Ziel, sondern bietet die Möglichkeit, nach Lust und Laune fabulierend von Thema zu Thema zu springen – im Gegensatz zu einem Beratungsgespräch, wo ich als Gesprächsleiter tatsächlich einem Thema verpflichtet bin. In der Praxis erweist sich diese Themenoffenheit als gar nicht so einfach. Wir sind viel zu sehr gewohnt, einem Erzählstrang zu folgen und entsprechende Fragen zu stellen.

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Was kann uns dabei unterstützen, diese Themenoffenheit zu fördern? Mir fallen ad hoc zwei Möglichkeiten ein: Erstens, nach Dingen zu fragen, die wie Nebenbei gesagt wurden und möglichst weit vom eigentlichen Thema liegen. Und zweitens eben, sehr kurze Fragen zu stellen. Schauen wir uns einfach mal das eine oder andere Beispiel für Letzteres an.

„Dann habe ich die Holzstücke also so vor mir liegen, und weiß noch nicht, was sie werden wollen. Das ist dann so ein Herantasten, ich lege sie um, schaue sie mir von verschiedenen Seiten an, das kann dann schon Mal paar Wochen dauern, bis ich weiß, was ich daraus machen werde.“

Eine Frage könnte lauten „Und wenn Du Dich herangetastet hast und weißt, was du daraus machen wirst… was ist dann?“ Eine wunderbare Frage, die allerdings eine Wechsel des Erzählstranges nicht unbedingt einfach macht. Denn indem ich zwei Phrasen herausgreife und in einer Frage verbinde, gebe ich bildlich gesprochen schon eine Linie vor. Wir könnten es auch verkürzen und den Kontext weglassen und nur fragen „Und wenn Du dich herangetastet hast… was ist dann?„. Oder, noch stärker verkürzt: „Herantasten… kannst dazu noch was sagen?„.

„Jetzt habe ich gerade mit Weinbergpfirsichen und Feigen experimentiert. Feigenmarmelade ist fad irgendwie, da habe ich dann halt noch Orange dazugegeben, Schale und Saft, und das schmeckt voll genial. Und aus den Weinbergpfirsichen habe ich ein Chutney gemacht, da hab ich noch nicht viel Erfahrung, aber schmeckt auch voll gut.“

Natürlich liegt die Frage „Wie machst Du so ein Chutney aus Weinbergpfirsichen?“ schon fast auf der Zunge – wunderbar Schlüsselworte aufgreifend, den anderen etwas erklären lassen, das ihm sichtlich gelungen ist… Wie kann man da noch etwas verkürzen? z.B. mit einer ganz allgemeinen Frage „Was ist so ein Chutney?“ (Warum nicht das „genial“ aufgreifen? Der Erzähler schien stolz darauf zu sein, dass das Chutney voll gut schmeckt, obwohl er noch nicht viel Erfahrung hat)

Mir fällt gerade auf, dass beide Beispiele mit der verkürzten Fragestellung das Gespräch auf eine ganz andere Ebene führen können. War die der Frage vorangegangene Sequenz eher aus dem episodischem Gedächtnis gespeist (dort, wo unsere Lebenserinnerungen aufgehoben sind, der „Film unseres Lebens“), führen die Fragen in eine Ebene der Verallgemeinerung, der Reflexion. Das war mir in dieser Form vorab nicht klar – auf was man nicht alles draufkommt, wenn man darüber schreibt!

Wenn ich also lieber weiter beim episodischen Gedächtnis bleiben will (etliche Menschen tun sich leichter, hier ins Erzählen zu kommen), könnte ich beim Herantasten ev. eher fragen „Von wo kennst Du dieses Herantasten noch?„, und beim Chutney könnte ich „Wie hast du das Chuntney gemacht?“ nachfragen.

Meine Güte, an was man alles denken kann… Mir taugt’s!

3 Gedanken zu „Warum ich kurze Fragen so liebe

    1. Hallo Matthias,
      danke für die nette Rückmeldung – freut mich sehr, dass Du den Artikel gelesen hast und er Dir gefällt!
      Herzliche Grüße
      Rainer

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