Wieso ich nicht nur kurze Fragen stelle?

Wieso ich nicht nur kurze Fragen stelle?

Wie an anderen Stellen beschrieben, ist es ein Merkmal der Idiolektik, kurze, konkrete und offene Fragen zu stellen. So habe ich es gelernt, so gebe ich es wieder, wenn ich die Technik vermittle. Doch bei genauerer Beobachtung ertappe ich mich immer wieder dabei, das „kurz“ zu vernachlässigen. In Ergänzung zum vorherigen Beitrag Warum ich kurze Fragen so liebe fasse ich mal paar Gedanken sozusagen zur Gegenposition zusammen, die mir so einfallen. Angelehnt an diesen vorherigen Beitrag ist eine „kurze“ Frage die, die nur eine Phrase aus dem Angebot herausgreift.

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Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Wenn ich ein Gespräch mit einem Spaziergang vergleiche, ohne festes Ziel die Gegend durchstreifend, kommt man doch immer wieder an Stellen, die zum Verweilen einladen. Man bleibt stehen, schnauft vielleicht ein, zwei Mal tief durch und lässt den Blick schweifen. Im Gespräch scheint es mir ähnlich zu sein – es gibt Sequenzen, die so ein Innehalten spüren lassen. Genauer gesagt: ich als Zuhörer habe die Hypothese, dass hier ein „guter“ Platz zum Verweilen ist. Und muss daher bereit sein, diese Hypothese sofort fallen zu lassen, wenn sie sich als falsch heraus stellt.

„Was geht Dir grad durch den Kopf?“

„Dass ich gerade ziemlich k.o. bin, müde. Ich habe viel gearbeitet die letzten Wochen, und das hat mir nicht gut getan.“

„Hmm… was tut Dir gut?“

„Naja, dass es jetzt vorbei ist, also so diese große Anstrengung, jetzt kann ich wieder runterschalten.“

„Runterschalten?“

„Ja, runterschalten. Das war schon ziemlich anstrengend, diese letzte Zeit… Viele Überstunden, dabei, also eigentlich habe ich ja meine Arbeitszeit reduziert. Aber es war wichtig, der Kunde war schon ziemlich sauer wegen verschiedener Verzögerungen, also hab ich mir halt eingebildet, da reinspringen zu müssen. (Pause, dann langsamer weiter) Jetzt habe ich guten Kontakt zum Kunden, es ist klar was zu tun ist… das ist gut. Da kann man Sachen umsetzen, jetzt, wo das klar ist. Ja, das ist gut… und tut auch gut irgendwie.“

„Was braucht es, damit etwas gut ist?“

„Naja, Kontakt halt und zu wissen… also sich geeinigt zu haben, was zu tun ist.“

„Und wenn Du Kontakt hast und ihr wisst was zu tun ist…?“

„Dann kann ich endlich mit der Umsetzung beginnen. Wir hatten schon zwei Anläufe gemacht, aber die Konzepte waren einfach Käse… Aber jetzt…“

„Und wenn Du weißt was zu tun ist und mit der Umsetzung beginnst…“

„Hach, das ist einfach ein gutes Gefühl. Ich mache einen Teil, also einen kleinen Part des Formulars, schicke das dem Kunden, gemeinsam bessern wir nach… und so geht´s weiter. Weißt Du, es ist echt schwierig oder fast unmöglich, ein Konzept für ein komplexes Formular zu machen, so am Papier, aber so, wie wir das jetzt machen, Schritt für Schritt, das hat was. Macht fast Spaß!“

Sind die Fragen anfangs tatsächlich kurz bis sehr kurz, greife ich bei den letzten beiden Fragen jeweils zwei Phrasen auf, reihe sie aneinander und gebe damit eine Richtung vor – es erschien mir im gegebenen Kontext ganz natürlich, diesen „Faden“ weiter zu verfolgen.

Manchmal nutze ich längere Fragen auch dazu, mir Bilder, Erinnerungen oder Szenerien genauer bis ins Detail beschreiben zu lassen – wenn laut meiner Hypothese mein Gesprächspartner dadurch Ressourcen aktivieren kann. Mir geht es jedenfalls dann und wann so, dass ich mit jeder weiteren Beschreibung eines stärkenden Bildes, einer positiven Erinnerung irgendwie innerlich aufgerichteter werde, anders kann ich es nicht ausdrücken.

„Da bin ich dann aufgestanden und hab mir gedacht, wow, das hast Du aber gut hinbekommen!“

„Und wie war das?“

„Einfach gut.“

„Woran hast Du das gemerkt, dieses ‚Gut‘?“

„Hmm… ich glaub, ich war… ich bin richtig energiegeladen aufgestanden, so in der Stimmung ‚Jetzt packe ich es an‘!“

„Wie kann ich mir so ein ‚energiegeladen aufstehen‘ vorstellen?“

„Naja, so mit Schwung halt… Ich glaube, ich habe mich mit den Armen richtig rauskatapultiert!“

„Also mit Schwung, und mit den Armen rauskatapultiert… Was war da noch?“

„Na Du fragst… also so Sachen… Na gut, was war da noch… Als ich dann gestanden bin, habe ich die Schultern nach hinten gezogen, also nach oben und dann nach hinten, so ein Schulterkreisen…“

„Schwung, rauskatapultieren, Schulterkreisen… fällt Dir noch was ein?“

„Ja, genau, ich hab dann noch so eine Bewegung mit den Händen gemacht, mit den Armen… so ungefähr.“ (Zeigt eine Bewegung vor: Die Ellenbogen sind am Körper, Unterarme angewinkelt, lockere Fäuste vor den Schultern, dann machen die Unterarme eine Bewegung erst nach innen, vor die Brust, dann nach unten und schließlich mit einem Strecken der Arme nach vorne und etwas nach außen, wobei die Fäuste sich fester ballen).

„Wenn Du jetzt so an den Schwung denkst, daran, wie Deine Arme Dich rauskatapultiert haben, Du Deine Schultern kreist und dann diese Bewegung machst… was ist dann?“

„Witzig… (Lacht) Ich fühle mich belebt. Fast so wie damals…“

Ich kann mir vorstellen, dass mit jedem neuen Aspekt, der dieser Schilderung hinzugefügt wird, sich das Bild dieser Szene verstärkt und jenes Netzwerk an Neuronen im Gehirn, welches diese Szene speichert, ebenfalls gefestigt wird. Und ich möchte gerne glauben, dass dies dann dazu führt, dass eben dieses Netzwerk in Zukunft wieder ein kleines bisschen leichter angezapft werden kann, wenn es darum geht, sich an bestärkende Erfolgserlebnisse zu erinnern.

2 Gedanken zu „Wieso ich nicht nur kurze Fragen stelle?

  1. Die Hypothese, dass auf Nachfrage eine Szenerie detaillierter beschriebenen wird und das zur Folge hat, dass Gesprächspartner dadurch Ressourcen aktivieren können, möchte ich bestätigen.
    Bei der Übung diese Woche konnte ich von einem Bild berichten. Die Beschreibung des Segelschiffs („Der Hafen von Calais“ von Manet (1864)) in dem tollen Kunstwerk ermöglichte mir, in meinen Gedanken entspannt neben den Details nach stärkenden Erinnerungen zu suchen. Als ich in meiner Vorstellung mit dem Boot auf das offene Meer hinaus segelte, fand ich über eine sehr gute Nachfrage einen besonderen Delphin aus einem geliebten Kinderbuch. Es berührte mich, dass ich bei diesem Gespräch vom riesigen, offenen Meer zu einem Liebling aus meiner Kindheit gefunden habe. Dieser Gedankengang hat in der Tat „innerlich aufgerichtet“ wie in der Hypothese formuliert. Ich fühlte mich erfrischt und zufrieden nach einer aufregenden Sommerreise.

    1. Liebe Heike,
      danke für Deine freundliche Rückmeldung – fein, wenn Du das Gespräch so „aufrichtend“ erlebt hast!
      Herzliche Grüße
      Rainer

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