Idiolektik: Anwendungsfelder 1

Idiolektik: Anwendungsfelder 1

Dies ist der Start einer Reihe Interviews mit verschiedenen Personen, die lediglich gemeinsam haben, dass sie in dieser und jener Art Idiolektik anwenden. Die Interviews fokussieren auf die Anwendungsbereiche und -erfahrungen, nicht auf die Technik.

Bild von Uschi Dugulin auf Pixabay

Das Interview wurde per Zoom geführt. Zur leichteren Lesbarkeit wurde der Text überarbeitet, einige Sequenzen umgestellt und gekürzt.

Hallo Barbara.

Hallo Rainer.

Du bist ja schon seit vielen Jahren Idiolektik Dozentin… in welchen Bereichen Deines Lebens wendest Du Idiolektik überall an?

Mein erster Gedanke auf Deine Frage: Ich als Mutter mit meinen Söhnen, als sie kleiner waren… Dieses Beschreibende, das wir aus der Idiolektik kennen, war glaube ich ganz wertvoll im Umgang mit den Kindern so von vier Jahren aufwärts, um zu verstehen, was sie meinen; da ist ganz viel gute Kommunikation entstanden.

Beide Söhne sind ja nicht so die Kommunikations-Männer. Wenn ich auf dem Weg von der Schule gefragt habe, wie es heute in der Schule war, dann kam oft einfach ein „gut“ zurück. Und wenn dann auf meine idiolektische Frage „wie kann ich mir gut vorstellen?“ wieder nur ein „gut“ zurückkam –  dann konnte ich das einfach gut sein lassen, da hat mir diese idiolektische Haltung geholfen: Sie so zu nehmen mit dem, was sie jetzt gerade erzählen oder eben nicht erzählen wollen.

Also so im Privaten mit den Kindern glaube ich, dass dadurch viel entstanden ist. Dass wir uns wahrnehmen, einender begegnen und das artikulieren, was wir sehen und wahrnehmen. „Die eigene Wahrnehmung für wahr zu nehmen“, wie Hans Hermann immer wieder gesagt hat.

Diese Haltung, die wir in der Idiolektik haben, ist ja gar nicht aus dem Leben wegzudenken, die läuft einfach immer mit.

Und wie ist das außerhalb dieses Privaten?

Ich unterrichte immer wieder Menschen aus der Pflege. Der Frau, die das initiiert hat, war es wichtig, sehr viel Augenmerk auf dieses „Wahrnehmen“ zu legen. Denn in der Pflege sind die Menschen so oft im Tun und im Denken gefangen, dass dieses Wahrnehmen oft zu kurz kommt, obwohl es so wichtig wäre.

Bekommst Du da eigentlich Rückmeldungen von diesen Menschen?

Ganz selten. Aber die Stationsleitung kommt dann zur Nachbesprechung: Was haben die Teilnehmerinnen profitiert? Und da ist immer wieder die Rückmeldung gekommen, dass sich durch Idiolektik etwas auf der Station verändert hat.

Oh, das ist ja spannend!

Die Stationsleitung merkt, dass da ein anderes Klima ist, dass da was anderes stattfinden kann. Einmal hat mir eine Dame direkt eine Rückmeldung gegeben. Wir trafen uns auf der Straße, sie sprach mich an und hat gesagt, „Seit ich bei Ihnen im Kurs war, sagt mein Mann, endlich hörst du mir zu.“ Und dann denkst du dir „ja cool“.

Oder eine stillere Rückmeldung: Ich bin in den Kursraum gekommen und sehe eine Person, die mir irgendwie bekannt vorkam. Und dann hat sich herausgestellt, dass sie schon einmal im Kurs bei mir war, und noch einmal kommen wollte – sie hätte sich auch frei nehmen können, aber sie hat gesagt, dass sie noch einmal dabei sein mag.

Es ist eine befriedende, friedbringende, friedvolle Art des Umgangs miteinander. Ich glaube, man kann den Wind herausnehmen, wo es vielleicht spannungsgeladener werden könnte.

Und wie schaut es in Deiner Arbeit aus?

In meiner Arbeit mit meinen Klienten, die zum Strömen kommen, denke ich mir ganz oft: Das eine ist das Strömen, aber das andere ist auch die Art und Weise des Zuhörens… diese Präsenz, dieses wirklich eine Stunde lang ihnen den Raum offenhalten. Und nur bisschen nachfragen bei Wörtern, die sie verwendet, und dann geht es schon weiter.

Am Montag hat ein Herr zu mir gesagt „ich komme gern zum Strömen. Aber diesen Raum, den du zur Verfügung stellst, wo ich einfach alles erzählen kann, was mir am Herzen ist: das gibt es sonst nirgends.“. Das ist wahrscheinlich das Einzigartige an meiner Art Strömarbeit.

Du hast jetzt gesagt, dass dem einen Mann das aufgefallen ist, dass du da eine besondere Art des Zuhörens oder des Fragens oder der Präsenz hast. Bekommst du noch andere Rückmeldungen von anderen Leuten? Menschen, mit denen du arbeitest?

Da fällt jetzt noch eine andere Klientin ein, die schreibt mir immer an Weihnachten ein Kärtchen. Sie hat glaube ich schon vier oder fünf mal geschrieben, wie gut das einfach ist, wie ich zuhöre und wie ich da bin und welche Worte ich aufgreife.

Bei einer anderen Dame habe ich ganz oft so eine Trauer wahrgenommen, aber sie nie angesprochen. Es hat lange gebraucht, bis das nötige Vertrauen da war. Als sie dann erzählt hat, habe ich nachgefragt und sie in dem Prozess begleitet. Egal was da aufgetischt wird: es macht keine Angst, wenn man Idiolektik kennt, man muss nichts lösen. Man hat dieses Handwerkszeug, und es ist der Raum da.

Mhm, jetzt hast du ja schon eine Frage fast vorweg mitgenommen, die mir auch noch so auf der Zunge liegt. Was hat man selbst davon, dass man so einen idiolektischen Werkzeugkoffer hat, als Anwender sozusagen?

Das Herstellen von Beziehung ist so viel leichter, und die Compliance ist viel größer. Es hilft zu erfassen, wie die Person ist, der du da begegnest. Der Umgang mit Widerstand… Es hat nichts mit mir zu tun, sondern die andere Person kann jetzt gerade in dem Moment nicht. Ich respektiere das, und allein durch das Aufgreifen „Aha, jetzt wollen Sie gerade nicht über das sprechen“, wird schon wieder eine neue Tür geöffnet. Dieses Aufgreifen von dem, was da ist, von den Schlüsselwörtern und von dem Wahrgenommenen, macht Räume und Türen auf.

Gibt es noch etwas, das Du teilen magst?

Ich bin ja beim Jin Shin Jyutsu im Vorstand. Da ist gerade vieles im Umbruch, und es gehen viele Briefe durch den Äther. Da habe ich jetzt bisschen die Aufgabe gekriegt, diese Briefe immer durchzulesen. Ich sehe jeden Brief aus der Perspektive. „Wie kommt es jetzt an? Welches Wort wäre jetzt wohl idealer, damit es wohlwollend beim anderen ankommt?“.  Denn so schriftliche Ding können ja oft Missverständnisse transportieren oder angriffig wirken oder den Eindruck des Nicht-Gesehen-Werdens hervorrufen. Und dann schick ich den Brief wieder zurück, und sie sind wirklich oft begeistert, wie fein dann nachgefragt werden kann und wie friedvoll das dann wird.

Habe ich das richtig verstanden? Das ist eine Form von Idiolektik im Schriftverkehr…?

Ja, ganz genau

Also Person A möchte einen Brief an B schreiben, aber ist nicht sicher und gibt Dir den Brief zum darüber schauen?

Genau. Es ist wirklich spannend, wie viel befriedender es dann wirkt. Ich merke, Frieden ist mir gerade wichtig…  und ich glaube einfach, dass das auch wirklich etwas ganz Wertvolles in der Idiolektik ist. Ich habe das nicht gewusst, dass man das so auf das Verschriftliche anwenden kann. Als ich den ersten Brief bekam, dachte ich „uh, da könnte man noch ein bisserl feilen“, und es war dann eine super Reaktion danach.

Kam die „super Reaktion“ von der Person, die den Brief geschrieben oder von der, die ihn bekommen hat?

Das waren mehrere Personen, die sich dann gleich zum Reden getroffen haben, und es war dann sehr wohlwollend dort in diesem Rahmen.

Ja, das kann ich mir auch gut vorstellen… Jetzt ist ja schon ganz viel gesagt worden. Über die Kinder, die Ausbildung und über dein Strömen mit deinen Klienten. Gibt es noch Irgendwas, von dem du sagst, „ah, das gehört aber einfach noch dazu!“?

Ich glaub, das war’s.

Danke schön fürs Teilen!

Bitte, danke dir!

Konder-Husinsky, Barbara

„Idiolektik ist für mich eine Kommunikationsform und mein Lebensverständnis. In offener und herzlicher Präsenz ist es mir dadurch möglich, Menschen zu begegnen – im professionellen Gespräch und im täglichen Miteinander.“

Tätigkeitsfeld: Seit 2009 selbständig in eigener Praxis. Jin Shin Jyutsu-Praktikerin. Referentin an der Akademie für Fortbildungen und Sonderausbildungen am Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien. Kommunikationstrainerin. Leiterin eines Malortes nach Arno Stern. Heilmethode nach Dr. Eric Pearl. Begründerin der Firma Per Vitam. Vorstandsmitglied der GIG. Dozentin in Idiolektik seit 2013.

Qualifikationen: Dr. med., Weiterbildung in orthomolekularer Medizin und klassischer Homöopathie. Dipl. Malortleiterin nach Arno Stern. Lebens- und Sozialberaterin in Ausbildung. Zertifizierte Jin Shin Jyutsu-Praktikerin. Idiolektische Therapie (grad. IG).

www.pervitam.at

Kommentare sind geschlossen.