Archaische Relikte

Archaische Relikte

In der Idiolektik (und nicht nur dort) werden unter „Archaischen Relikten“ Körperreaktionen verstanden, die fest in uns verdrahtet sind und auf die wir keinen direkten Einfluss haben. Sie sind in Hirnregionen verankert, die in einem frühen Stadium der Entwicklungsgeschichte das Überleben sicherten. Und reagieren vollautomatisch, sobald sie aktiviert werden, also unterhalb unserer Bewusstseinsgrenze.

Die daraus resultierenden Körperwahrnehmungen können von den Betroffenen durchaus als Krankheitssymptom empfunden werden, denen aber eine objektive Ursache zu fehlen scheint. Klassische Beispiele dafür wären Verdauungsprobleme, Herzklopfen, Muskelverspannungen im Nackenbereich, Gelenkschmerzen, Schwindelgefühle, um nur einige zu nennen.

Die Betroffenen nutzen zur Verdeutlichung ihrer Symptome durchaus metaphorischen Beschreibungen von Körperzuständen, wie zum Beispiel

  • Da bekomme ich weiche Knie
  • Es verschläft mir den Atem
  • Als würde ich Tonnen an Last stemmen müssen
  • Das liegt mir wie ein Stein im Magen
  • Da bekomme ich Schiss

Diese Körperzustände können wir (und das ist ein u.a. David Jonas zu verdankender Zugang) als Äußerungen eines lebendigen Organismus auffassen, der auf adäquate Art und Weise auf sein Umwelt reagiert. Dass dieses „adäquat“ sich jedoch auf eine lang zurückliegende, archaische Zeit bezieht, macht es nicht immer leicht, sich dieser Betrachtungsweise anzuschließen. Der Mensch war lange Zeit eher Beute als Jäger, und die daraus resultierenden Verhaltensmuster tragen wir als meist unbewusstes Erbe in uns. Schauen wir uns mal ein zugegebener Weise plakatives und stark vereinfachtes Beispiel an:

Stelle Dir vor, Du wärest ein Steinzeitmensch, streifst durch den Wald auf der Suche nach Essbarem, und plötzlich steht ein Säbelzahntiger vor Dir. Wie würdest Du reagieren?

Wenn Du Messer und Speer dabei hättest, könntest Du Dich vielleicht auf einen Kampf vorbereiten: Das Herz erhöht seine Schlagfrequenz, um eine erhöhte Sauerstoffzufuhr zu gewährleisten, die Muskeln um den Thorax spannen sich an, um die wichtigen inneren Organe gegen Zähne und Krallen zu schützen, verschiedene Botenstoffe werden ausgeschüttet, um das Schmerzempfinden zu senken und die Leistungsfähigkeit zu erhöhen.

Hast Du allerdings nur Deinen Sammelkorb dabei, wirst Du Dich vielleicht eher auf die Flucht vorbereiten – erhöhter Herzschlag, aber auch vermehrte Darmtätigkeit, um den Darm vor der Flucht zu entleeren.

Warst Du ein bisserl zu langsam, und der Säbelzahntiger ist bereits über Dir, bleibt Dir nur noch eines: Totstellen. Die Herzfrequenz sackt auf ein Minimum ab, Deine Muskeln werden schlaff. Mit etwas Glück wird der Jäger dann von Dir ablassen, da er seinerseits einen Reflex hat, nur bei Gegenwehr einen tödlichen Biss anzubringen.

Heute ist die Gefahr, einem Raubtier zum Opfer zu fallen, eher gering. Allerdings legen diese körpereigenen Mechanismen den Begriff „Gefahr“ durchaus großzügig aus. Obig beschriebene Reaktionen werden -abhängig vom Charakter und den Umständen- auch eingeleitet, wenn die eigentliche Situation nur im übertragenen Sinne mit der archaischen, oben beschriebenen, zu tun hat.

Die Idiolektik als Methode greift diese Beschreibungen der Symptome auf und lässt sich die wahrgenommenen Körperphänomene erzählen. Dann und wann reicht es schon aus, Fragen zur verwendeten Metapher zu stellen (Wie kann ich mir dies und jenes vorstellen? Wo oder wann könnte dies und jenes von Nutzen sein?), um den Erzählenden zu neuen Ein- oder Aussichten zu verhelfen. Im Bedarfsfall kann sie Erklärungsmodelle liefern, um einen neuen Blickwinkel auf das unerwünschte Verhalten ermöglichen. Dieser neue Blickwinkel kann im besten Falle zu einer Art Aussöhnung und Neubewertung des Verhaltens führen, welches sich dann vielleicht nicht mehr in seiner bisherigen Vehemenz zu zeigen braucht.


Empfehlenswert dazu: „Signale der Urzeit“ vom Ehepaar Jonas (siehe Literaturseite)

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